IBI – 1. Interalpine Ressourcentagung – Ein Artikel von Simon Mariacher

Wer Vor-Denkt Muss Nicht (Da)Nach-Denken!“

5./6. September 2019

 

Der Erste Schritt…

Atemberaubender Ausblick in schwindelerregender Höhe auf stabilem Beton. So präsentiert sich die 1. Interalpine Ressourcentagung am 5. September 2019 im LUMEN am Kronplatz. Bekannte Gesichter begrüßen sich freudig – hier befinden sie sich im Kreis von Gleichgesinnten.

Die Veranstaltung eröffnen die beiden Organisatoren Dietmar Thomaseth, Geschäftsführer des TIQU-Tiroler Qualitätszentrum für Umwelt, Bau und Rohstoffe, und Roland Ploner, Geschäftsführer der Ploner GmbH mit einführenden Worten. Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung seien leere Worthülsen geworden. Eine gewisse Kurzsichtigkeit in Politik und Gesellschaft behindere diesen zukunftsträchtigen Sektor seit Jahrzehnten.

„Bevor ein Mensch nicht gegen die Wand fährt, tut er nichts!“ Um diesen Trend der Selbstzerstörung zu beenden haben sich führende Köpfe der verschiedenen Bausektoren aus Südtirol, Österreich, Deutschland und der Schweiz auf dem Gipfel des Kronplatz eingefunden. Sie wollen handeln, selbst wenn es niemand anderes tut. Mit einem Augenzwinkern bezeichnen sie sich als ‚Spinner‘, die Geschichte wird sie wohl ‚Pioniere‘ nennen.

Angeregter Austausch zwischen den Experten.

Der Wert der Zukunft

Der erste Vortragende ist Anselm Bilgri, ein ehemaliger Benediktinermönch. Ein uninformierter Geist würde sich wohl über einen Geistlichen in diesem sehr weltlichen Kreise wundern. Die TeilnehmerInnen aber erkannten bald, dass Bilgri einen wichtigen Beitrag zu leisten hatte. Seit 1.500 Jahren existiert nun schon der Wirtschaftskreislauf der Benediktiner – ununterbrochen. Wie ist das möglich?

Anselm Bilgri zeigt geistliche Werte in weltlichen Bereichen auf.

 

Gegen die Zukunft darf man sich nicht sträuben. Selbst ein geistlicher Orden versteht, dass Anpassungen an die Moderne nicht nur nötig, sondern auch wünschenswert sind. Dies alleine reiche aber nicht aus, es seien Werte, die ein System überlebensfähig machten. Gegen Ende seines Vortrags teilte Anselm Bilgri seine persönlichen Werte mit den Anwesenden, deren Inhalt sich durch die gesamte Tagung ziehen sollte.

Gehor(ch)samkeit

– Der Wert im Zuhören, im Nachforschen und im informierten Verändern.

Auf dem hohen Gipfel des Kronplatzes scheinen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft keineswegs abstrakte Konzepte zu sein. Hier erstrecken sich direkt vor den Augen der TeilnehmerInnen die Weiten des Pustertals, mitsamt den zurückgehenden Schneemassen in den Gebirgen. Die hier Anwesenden haben den Warnungen der Wissenschaft zugehört und sich dementsprechend auf die Hinterbeine gestellt.

Um effektive Veränderungen einzuleiten scheint das Leiden noch nicht groß genug zu sein – noch nicht. Denn die Veränderungen des Klimas schreiten ungehindert fort, befeuert noch vom Handeln einer uneinsichtigen Bauwirtschaft. Bereits 1987 forderte eine UNO-Kommission eine Nachhaltige Entwicklung, genannt „Unsere gemeinsame Zukunft“. Über 30 Jahre später fordern die Vortragenden einen Umschwung in Richtung eines ‚enkeltauglichen‘ Wirtschaftens.

Die Bemühungen von Walter Feeß in Baden-Württenberg zeigen bereits Früchte.

 

Der anwesende Teil der Bauwirtschaft hat ihnen zugehört. Sie haben erkannt, dass Müll keineswegs Dreck ist. Müll ist Mehrwert. Durch die Wiederverwertung von Bauschutt zu Recycling-Beton, Energiegewinnung durch „Abfall“ und einer vorausdenkenden Planung im Sinne eines zukünftigen Rückbaus, kann die Zukunft für die Enkelgeneration erhalten werden.

Nun muss dieses Wissen weitergegeben werden. Das Bewusstsein um diese notwendige Veränderung darf nicht in diesem kleinen Kreis verbleiben, sondern sollte im Sinne eines neuen Kreislaufs alle Ebenen der Bauwirtschaft, der Gesellschaft sowie der Politik erreichen.

Auf 2.275m Höhe versammelte sich diese zukunftsgewandte Gruppe und zeigte in überzeugender Weise eine wichtige Tatsache: Technisch sind wir in der Gegenwart angelangt und bereits für eine enkeltaugliche Zukunft gerüstet. Es fehlt nur noch das Bewusstsein in der Bevölkerung, den Planern und Architekten, sowie ein umsetzender Wille in der Politik.

Thomaseth (r.) im Gespräch mit dem Tiroler Landtagsabgeordneten Florian Riedl (l.).

Demut

– Der Wert vom Dienen, vom Aufopfern für die Gegenwart und die Zukunft einer Gesellschaft.

Die Zirkulär-Wirtschaft eines nachhaltigen Handelns im Bausektor funktioniert, wenig überraschend, durch einen Kreislauf. Die Verantwortung für eine enkeltaugliche Zukunft kann und darf nicht einer einzigen Branche auferlegt werden. Die Anwesenden zeigen eindrucksvoll, wie viel mit pragmatischer Intelligenz erreicht werden kann.

Ressourcensparendes Bauen, Wertschöpfung durch Wiederverwertung und fortschrittliche Forschung zur Qualitätssteigerung von Recycling-Materialien zählen zu den Leuchtturm- Projekten der Vortragenden und TeilnehmerInnen. Sie bilden eine Minderheit und müssen täglich gegen einen Strom von überholten Ideen und Ritualen ankämpfen.

Die Bauwirtschaft ist heute für 40% des Klimawandels zuständig. Unaufhörlicher Abbau von Naturgesteinen, unnötig weiter Transport dieser Materialien und ein uninformierter Abriss und Aufbau von Gebäuden, sollte in diesem Zeitpunkt der Geschichte schlichtweg nicht mehr aktuell sein. Diese kurzsichtige und verantwortungslose Arbeits- und Handlungsweise steht in direktem Konflikt mit einer enkeltauglichen Zukunft. Jedes Jahr werden Hunderttausende  von Tonnen an Bauschutt verschwendet, abgestempelt als wertloser Abfall und Recyclinganlagen aufgrund von falschliegendem Glauben öffentlich denunziert.

Hier sind die Diener der Gesellschaft gefragt. Die öffentliche Hand muss Anreize schaffen, wertvolles Material wieder zu verwerten, die Architekten und Ingenieure müssen über die bereits erreichte Qualität von Recycling erfahren und die erfolgreichen Beispiele aus dem Ausland kennen lernen. Die Bevölkerung selbst muss über ihr eigenes Wohlbefinden hinaussehen und selbst an die Zukunft denken.

Als Bauherren sehen die Anwesenden sich im Dienst der Bevölkerung, jener von heute und jener von morgen. Dieses noble Ziel darf nicht links liegen gelassen werden, sondern es soll breite Wellen schlagen. Wir alle stehen im Dienst der Gegenwart zum Erhalt der Zukunft. Was wir im LUMEN angestoßen haben ist der erste Anstoß für den Kreislauf der Veränderung, der nicht nur kommen sollte, sondern kommen muss. Jeder Cent in Richtung nachhaltigem und zirkulärem Bauen ist eine Investition in die Zukunft, eine Investition für unsere Enkel und Urenkel. Es liegt in unser aller Hand, diese Verantwortung anzunehmen und zum Vorbild in Europa zu werden. Es ist an der Zeit.

Heitere Gelassenheit

– Der Wert einer heiteren Herangehensweise, eines Lösens von Herausforderungen und eines schonenden Umganges mit der Natur.

Das Restaurant AlpiNN bietet eine atemberaubende Kulisse für den kulinarischen Ausklang der Tagung.

 

Technisch war der Tag, lösungsorientiert der Abend. Dabei hätte der Veranstaltungsort nicht besser gewählt sein können. Das Alpinn-Restaurant im LUMEN verkörpert diesen neuen, nachhaltigen Geist Südtirols. Das Projekt von Sternekoch Norbert Niederkofler baut auf regionale und saisonale Küche im Sinne einer traditionsbehafteten Kreativität. Das Restaurant versucht auf seine eigene Weise den Kreislauf eines nachhaltigen Wirtschaftens anzustoßen. In dieser heiteren Geselligkeit kam es zum regen Austausch zwischen den unterschiedlichen Bereichen und es wurden transnationale Netzwerke der Nachhaltigkeit geschaffen.

Hierzu reisten eigens auch fähige politische Köpfe aus Tirol und Südtirol an, um pragmatisch und zukunftsgewand zu diskutieren. „Bauen ist nicht Betonmasse, sondern die Grundlage für eine zukünftige Lebensweise.“ So äußerte sich der stellvertretende Landeshauptmann Daniel Alfreider. Er kommt selbst aus einem technischen Bereich und schien im Zuge dieser Veranstaltung die Wichtigkeit des Anliegens zu erkennen.

Die Wirtschaft alleine kann diesen Umschwung nicht alleine stemmen, sondern braucht tatkräftiges Anpacken der öffentlichen Hand. Die Infrastruktur mit ihren hochkomplizierten Herausforderungen benötigt ein nachhaltiges Denken in der Planung und ein informiertes Bewusstsein der Bevölkerung.

Die Europäische Ebene ist in diesem Sinne bereits ein vorausdenkender Akteur, doch müssen die vorhandenen Schlupflöcher in der nationalen Gesetzgebung genutzt werden. Handeln statt Hadern scheint das Credo in dieser Gemeinschaft zu sein. Nur die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Bereiche, besonders auch über die Grenzen hinaus, kann diese Vision einer zukunftsfähigen Wirtschaft ermöglichen.

Stellv. Landeshauptmann Alfreider (l.) und TIWAG-Vorstandsmitglied Johann Herdina (r.).

 

Nun gilt es die Erkenntnisse dieser Tagung in die Welt zu tragen und in die Tat umzusetzen – unsere nachfolgenden Generationen werden es uns danken.

Die Zündung einer Idee…

Die Veranstaltung war in sich ein großer Erfolg. Ein grenzüberschreitendes Netz an Vordenkern fand sich als Wertegemeinschaft zusammen und eröffnete Möglichkeiten für zukünftigen Austausch und Kooperation. Führende Köpfe aus vier verschiedenen Ländern präsentierten im Rahmen dieser Tagung kreative und neuartige Wege des nachhaltigen Wirtschaftens.

Roland Ploner (l.) zeigt wo’s langgeht.

Doch begleitete ein düsterer Gedanke die TeilnehmerInnen. Wofür? Wofür haben wir auf den Gipfel gearbeitet, gehandelt und gesprochen, wenn unsere Stimmen im Tal nicht gehört werden? Die Mühen von guten Leuten sollten nicht umsonst gewesen sein. Ihre Wünsche sind so einfach wie notwendig. Es muss ein eigener Kreislauf des Wissensaustauschs beginnen, um den Strudel der Verschwendung umzukehren und den Trend der Ausbeutung zu beenden. Die Tagungsgäste haben einen ersten Anstoß in Richtung nachhaltige Entwicklung gegeben. Nun liegt es an Politik, Medien und Bevölkerung den Ball aufzunehmen und selbst aktiv zu werden.

Wir sind bereit zu Lauschen, der Zukunft zu Dienen und mit allen gemeinsam für eine enkeltaugliche Welt zu arbeiten. Wer wird uns helfen?

Ein Artikel von Simon Mariacher