Die Bauwirtschaft steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen, darunter Materialengpässe und Lieferprobleme. Sie erzeugt aber auch einen wesentlichen Teil des Abfallaufkommens in Europa, hat einen enormen Ressourcenverbrauch und ist der größte Verursacher von CO2-Emissionen. Um diesen Problemen rechtzeitig entgegenzuwirken, ist eine progressive Umstellung auf die Kreislaufwirtschaft notwendig. Diesem Thema widmeten die EGGER Group, HANEL Ingenieure und das TIQU – Tiroler Qualitätszentrum für Umwelt, Bau und Rohstoffe – vergangenen Donnerstag eine Tagung, zu der hochkarätige Experten aus Wirtschaft und Politik geladen waren.
„Die Welt schaut auf uns und es ist an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Angesichts dieser Problematiken ist ein Umdenken von zentraler Bedeutung und zwar hin zu zukunftsfähigen Lösungen, die den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft folgen“, ist Carlo Chiavistrelli, Geschäftsführer HANEL Ingenieure, überzeugt. Dass dieser Weg kein leichter wird, erklärte Dietmar Thomaseth von TIQU: „Funktionieren kann das nur, wenn wir unser Handeln zu Ende denken. Hier tragen wir eine Verantwortung. Nachhaltiges Bauen wird in der ersten Phase in einigen Bereichen erhebliche Mehrkosten verursachen. Aber wenn wir einen echten Wandel wollen, muss es uns das wert sein!“ Bei EGGER bildet das Arbeiten in geschlossenen Kreisläufen bereits den Kern des Geschäftsmodells. „Auch deshalb war es uns wichtig, zusammen mit TIQU und HANEL mit dieser Veranstaltung der Bauwirtschaft auf dem Weg hin zu einer zukunftsfähigen Gestaltung eine Plattform bieten zu können“, so Matthias Danzl, EGGER Werksleiter für Vertrieb.
Der europäische Green Deal ist die neue europäische Wachstumsstrategie. Dessen zentrale Bedeutung hob Franz Fischler, Präsident des Instituts für Höhere Studien (IHS), in seinem Eröffnungsstatement hervor. Er unterstrich, dass die Erreichung dieser Zielvorgaben entscheidend für den Schutz der Biodiversität, die Reduzierung von Emissionen und den verantwortungsvollen Umgang mit Bodenressourcen ist. Die Kreislaufwirtschaft müsse vorangetrieben werden, um Europas hohe Abhängigkeit von Energie- und Rohstoffimporten zu mindern.
Von entscheidender Bedeutung für die Erreichung dieser Vorgaben wird ein Wandel des derzeitigen, linearen Wirtschaftsmodells im Bauwesen – Take–Make–Use–Waste – hin zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft sein. „Die österreichische Kreislaufwirtschaftsstrategie, die Ende 2022 vom Ministerrat beschlossen wurde, zeigt im Kapitel „Bauwirtschaft und Infrastruktur“ mit Zielen und konkreten Maßnahmen klar auf, in welche Richtung die Transformation hier zukünftig gehen muss und wird“, führte auch Christian Öhler, verantwortlich für die Koordination des Themas „Kreislaufwirtschaft und zirkuläres Bauen“ im Bundesministerium für Klimaschutz aus. Der Bund möchte hier mit ambitionierten Ausschreibungskriterien für den öffentliche Hoch- und Tiefbau vorangehen.
Unterstrichen wurde dieser Ansatz auch beim prominent besetzten runden Tisch mit unter anderem Landeshauptmann Anton Mattle, der auch auf die Herausforderungen Tirols einging: „Auch Tirol muss im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Energiewende beitragen. Wir haben nicht nur enormes Potenzial in Sachen Ausbau erneuerbarer Energieträger, sondern auch hinsichtlich des noch bewussteren Ressourcenumgangs. Vonseiten des Landes fördern wir gezielt klimafreundlichere Energie- und Wärmesysteme, verabschieden uns zunehmend von fossilen Energieträgern und setzen dadurch auch ökologische Impulse zur Belebung der heimischen Bau- und Energiewirtschaft. Dass im Dialog Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft auch in der Bauwirtschaft noch bewusster Eingang finden sollen, ist daher jedenfalls zu begrüßen.“
TIWAG-Vorstand Alexander Speckle hob die Bedeutung des Energie-Sektors in diesem Zusammenhang hervor: „Die Energiewende können wir nur schaffen, wenn wir alle erneuerbaren Energieressourcen sowie Speichermöglichkeiten umweltverträglich nutzen und die Netze in Tirol wirtschaftlich optimiert ausbauen. Ökologische Nachhaltigkeit muss mit sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen – bis hin zu einer möglichst umwelt- und ressourcenschonenden Realisierung unserer Kraftwerksbaustellen.“
Wie die Bestrebungen einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft in der Praxis gelebt werden, berichtete Stefan Deflorian, Geschäftsführer tirol kliniken, einer der größten Bauherren in Tirol: „Bei den tirol kliniken ist die Nachhaltigkeit zentraler Teil der Unternehmensstrategie und so versuchen wir auch bei Neubauten einen Fokus auf Ressourcenschonung zu setzen. Um im Bau eine echte Kreislaufwirtschaft zu etablieren, braucht es die Anstrengungen aller Player. Die Politik muss die nötigen gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen. Die Bauwirtschaft muss die notwendigen innovativen Technologien zur Verfügung stellen. Und die Bauherren müssen schlussendlich die Bereitschaft mitbringen, diese auch einzusetzen. Dafür braucht es durchaus Mut und in der Anfangsphase auch die Akzeptanz für höhere Investitionskosten. Ich bin allerdings überzeugt, dass auf längere Frist kein Weg daran vorbeiführen wird.“
Bei der Diskussion über die Komplexität von Nachhaltigkeit am runden Tisch betonte Landeshauptmann Mattle die unterschiedliche Herangehensweise von Politik und Unternehmen zum Thema Nachhaltigkeit. Während politische Debatten oft auf einer Metaebene geführt werden, stehen Unternehmen vor der Herausforderung, praktische Lösungen umzusetzen. Mattle ermutigte die Unternehmen, sich nicht abschrecken zu lassen und hob die Bedeutung von Innovationen, wie auch jenen des Gastgebers Egger in der Holzindustrie, hervor. Die Notwendigkeit einer engen Partnerschaft zwischen Bauwirtschaft, Industrie, Abfallwirtschaft und Gesetzgebern, um geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, wurde von allen Diskutanten betont.
Konsens bestand darüber, dass ein gesellschaftliches Bedürfnis vorhanden ist, Gutes zu tun. Die Herausforderung sei jedoch, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Dies unterstrich auch Alexander Speckle, Vorstand der TIWAG, mit seiner Feststellung: „Wir haben ein globales Problem, das wir lokal lösen müssen.“ Die Diskussion mündete im Appell, neue Kompromisse zu finden und mehr miteinander statt übereinander zu reden. Die Tagung wurde von allen als ein wertvoller Beitrag zu diesem Dialog gewertet.
Die Expertenvorträge zeigten, dass nicht immer gefordert ist, sofort hundert Prozent Kreislauffähigkeit zu erreichen. Doch jeder Beitrag hilft, die Transformation voranzutreiben. Denn nur gemeinsam können die Weichen in Richtung einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft gestellt werden. Viele Bereiche sind noch Neuland und müssen erst zum Baustandard werden. Doch dies, so war man sich in Expertenkreisen einig, ist einer der großen Vorteile eines allumfassenden Paradigmenwechsels.
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